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Beitrag vom 24.05.2013
Teresa Forcades - Wir müssen es selbst in die Hand nehmen
Katarina Wagner
Medizinerin, Aktivistin, Kapitalismus-Kritikerin, Feministin, Theologin und Benediktiner-Nonne. Das ist das Profil einer der spannendsten Stimmen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Mit...
...einer festen und ansteckenden Überzeugung, dass ein souveränes Katalonien möglich ist, stößt sie eine Diskussion um dessen Konstitution an.
Eine Nation ohne eigenen Staat
Catalunya ist eines der 17 Autonomiegebiete Spaniens mit der Hauptstadt Barcelona und dem beliebten TouristInnenziel Costa Brava.
Im Jahr 1714 verlor es die Selbständigkeit und wurde in den spanischen zentralistischen Nationalstaat eingegliedert. Nächstes Jahr ist dieser Fall 300 Jahre her und unter den KatalanInnen, die ihre Kultur und Identität nie aufgaben, hat sich eine breite, von der Regionalregierung unterstützte Unabhängigkeitsbewegung gebildet. 2014 soll in einem Referendum über das eigene Schicksal bestimmt werden.
Der Großteil der Bevölkerung zeigt sich nicht nur überzeugt von der Legitimität, sondern auch optimistisch, dass ein friedlicher Prozess der souveränen Staatsgründung möglich ist. Hieraus entsteht eine spannende Diskussion, wie dieser neue Staat aussehen soll. Innerhalb oder außerhalb der EU? Mit oder ohne Armee?
Ein Name der dabei immer häufiger fällt ist eben der, der Benediktiner Nonne Teresa Forcades. Zusammen mit dem Ökonom Arcadi Oliveres veröffentlichte sie im April 2013 ein "Manifest für die Einberufung eines verfassungsgebenden Prozesses in Katalonien" (Manifest per a la convocatòria d’un procés constituent a Catalunya).
"Ich wurde schon Schlimmeres genannt als ´revolutionäre Nonne´"
Bekannt wurde die ausgebildete Ärztin vor fünf Jahren, als sie in einem etwa einstündigen Video den Aufruf zur Impfung gegen die Schweinegrippe und die Bezeichnung als Pandemie anprangerte. Bald war die Mehrheit in Spanien davon überzeugt, dass der Virus weniger gefährlich als die normale Saisongrippe ist und Forcades als erste Kritikerin der Pharmaindustrie berühmt.
Mich selbst verbindet ein anderes Thema mit der Katalanin: der Feminismus. Im Jahr 2010 kam sie für ein Semester als Dozentin an die Humboldt Universität, um zusammen mit Prof. Dr. Ulrike Auga den Kurs "Theologie-Geschlechterforschung-Queer Theory" zu leiten.
Spätestens, als die Dozentin mit der schwarz-weißen Haube über das Kontrasexuelle Manifest der Queer-Theoretikerin Beatriz Preciado sprach und Dildos als Handwerkzeug des Widerstands gegen eine, auf die Reproduktion beschränkte Sexualität erläuterte, musste ich all meine Stereotype und pauschalen Vorurteile gegenüber Menschen in der katholischen Kirche aufgeben.
Im Laufe des Halbjahres sprachen wir über feministische Theologie, Transgender-Identitäten, Biopolitik und natürlich Pharmakonzerne. Bei letzteren gestikulierte sie immer besonders energisch und schweifte oft in eine grundsätzlichere Kapitalismuskritik ab.
Nach ihrer Lehrtätigkeit zog sich Schwester Teresa ein Jahr lang in ihr Kloster Sant Benet de Montserrat bei Barcelona zurück, nur um seit 2012 wieder auf allen Bildschirmen und Titelseiten zu erscheinen.
"Wir müssen die Revolution machen. Und sie dann ständig wiederholen."
Das Manifest richtet sich an zivilgesellschaftliche Initiativen und einzelne noch nicht aktive Menschen und ruft diese auf, sich unter einem gemeinsamen Nenner zu organisieren. Die Aktivistin ist der festen Überzeugung, dass Veränderung nur von unten, von der Basis, kommen kann. Es ginge darum, die passive und pessimistische Haltung zu verlassen, welche glaubt, dass eh niemand etwas tun kann – weder die Bevölkerung, noch die PolitikerInnen – und sich zu vernetzen, und das demokratische Mitbestimmungsrecht einzufordern.
Schon vor ihrer Initiative mit Arcadi Oliveres hielt Forcades öffentliche Vorträge über die Missstände des Neoliberalismus, der Profitmaximierung über den Wohlfahrtsstaat und damit über die Interessen der Bevölkerung stellt und warnt vor einer zu großen Verwobenheit von Politik und multinationalen Unternehmen.
Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Praxis kommt das Manifest in seinen Forderungen nach echter Demokratie und Umstrukturierung also angemessen radikal daher. So geht es um die Enteignung der privaten Banken, um die Zügelung der Finanzspekulation und ein gerechtes Steuersystem.
Das feministische Herz macht vor allem beim Punkt der würdigen Entlohnung, der Verkürzung des Arbeitstages und der gerechten Aufteilung der unbezahlten Haus-, Fürsorge- und Pflegearbeit einen freudigen Sprung. Weitere Forderungen sind: Reform des Wahlsystems, Bekämpfung der Korruption, Ende der Zwangsräumungen, Verstaatlichung der Energieunternehmen, Staatsbürgerliche Rechte für alle, Ende der Xenophobie, Ausstieg aus der NATO und für ein Katalonien ohne Militär. Außerdem in der Liste: Bestimmungsrecht über den eigenen Körper und Nein zur Gewalt gegen Frauen.
"Die hierarchische, patriarchale Struktur der katholischen Kirche ist nicht nur ein Anachronismus, sondern sogar gegen das Evangelium."
Die 47-Jährige Feministin verteidigt ganz klar und in aller Öffentlichkeit das Recht auf Abtreibung und die Pille danach. Aus Rom gab es dafür schon einen Brief mit der Aufforderung, ihre Loyalität zu den kirchlichen Doktrinen zu bekunden. Von ihrer Meinung wich die Benediktinerin jedoch nicht ab und tritt weiterhin dafür ein, dass Frauen ohne Gefahr und nach ihrem Gewissen eigenmächtig eine Entscheidung treffen dürfen.
Weiter kritisiert die Katholikin den strukturellen Sexismus in ihrer Kirche. Laut Forcades bestimmt das Evangelium, alle diejenigen, die eine Entscheidung betrifft, auch in den Entscheidungsfindungsprozess einzubeziehen. In der Realität herrsche jedoch weiterhin die Pyramiden-Ordnung, wobei Frauen die Mehrheit der Basis bildeten, an der Spitze hingegen nur Männer säßen. Auch hier müsse die Transformation von unten angestoßen und eingefordert werden.
Auf ihre Position als Nonne wird sie oft angesprochen, stellt sie jedoch nie absichtlich in den Vordergrund. Auf Konferenzen erscheint Forcades je nach Anlass als Medizinerin, Feministin oder linke Herrschaftskritikerin und erinnert die Zuhörenden daran, dass das derzeitige, zerstörerische System vielleicht gar nicht so unvermeidbar ist, wie viele glauben.
Damit wird sie nun auch außerhalb der spanischsprachigen Welt immer bekannter. Ein Video von The Guardian über die "radical Catalan nun on a mission" - ein zugegebenermaßen einfallsloser Titel – macht derzeit in der Blogosphäre die Runde und wurde schon von Mia Farrow und David Lynch "getwittert".Weitere Infos unter:
teresaforcades.com
The Guardian über Teresa Forcades
Teresa Forcades: Video über die Schweinegrippe. Spanisch mit deutschen Untertiteln
Bundeszentrale für politische Bildung: Zwischen "Nation" und "Nationalität": das Baskenland und Katalonien
taz: Kataloniens gespaltene Seele
taz über das Kontrasexuelle Manifest: In der Dildokratie
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